Der Wohlfühlfaktor
Dass Wohlfühlen und Wohlbefinden am Arbeitsplatz einen maßgeblichen Einfluss auf Arbeitsleistung, Gesundheit und Arbeitsklima haben, bestreitet kaum mehr jemand.
Auch am Bauherrnkongress 2015 war der Wohlfühlfaktor DAS Thema – es drehte sich alles um die Faktoren, die Wohlfühlen und Produktivität am Arbeitsplatz maßgeblich beeinflussen. Dazu gehören die Einbeziehung von menschlichen Bedürfnissen sowie der visuelle, thermische und akustische Komfort. Das Fraunhofer Institut arbeitet am Nachweis, dass die Investition in Komfort und Bedürfnisse sich rechnet, sich in der Produktivität wiederspiegelt. Beispiele gibt es bereits genug.
Die Conclusio der Podiumsdiskussion war, dass es ein klares Bewusstsein der Bauherren braucht: was ist uns wichtig und was ist es uns wert? Zugrunde liegt ein bestimmtes Menschenbild, das Vorgehensweise und Resultat prägt. Die Einstellung zu den Mitarbeitern zeigt sich im Gebäude und dessen Gestaltung. „Die stille Botschaft der Räume“ wie BrandEins dies in einem Artikel zum Thema benennt. >>BrandEins Die stille Botschaft der Räume >>Bauherrenkongress 2015
Der weltweite Büromöbelhersteller Steelcase, der viel in dem Thema forscht, hat ein ein Magazin zum Thema Wellbeing publiziert und beleuchtet dort sechs Dimensionen von Wohlbefinden am Arbeitsplatz.
Wellbeing – meist mit Wohlbefinden übersetzt – greift in der deutschen Übersetzung etwas zu kurz, da Wohlbefinden mit Wohlfühlen und damit tendenziell mit dem physischen Komfort assoziiert wird. Das englische „Wellbeing“ ist in seiner Begrifflichkeit weiter gefasst und zeigt auf, was es braucht um echtes „Engagement“ zu ermöglichen – ein positives soziales und physisches Arbeitsumfeld.
Steelcase beschreibt 6 Dimensionen von Wohlbefinden am Arbeitsplatz und wie die räumliche Gestaltung diese fördern kann.
1 Optimismus – Kreativität und Innovation beflügeln
2 Achtsamkeit – Richtig bei der Sache sein
3 Authentizität – Man selbst sein
4 Zugehörigkeit – Mit anderen verbunden
5 Bedeutsamkeit – Sinnhaftes Tun
6 Vitalität – Zu Bewegung und Interaktion anregen
Mehr dazu: >>Six-dimensions-of-wellbeing-in-the-workplace
Die Praxis
Trotz aller medialer Aufmerksamkeit wird das Wohlfühlen der potentiellen Nutzer in der Praxis oft den limitierenden Gegebenheiten geopfert- sprich dem Budget oder manchmal sogar der Architektur. Mein Eindruck ist, dass der Wohlfühlfaktor immer noch oft als „Luxus“ gesehen wird, der eigentlich nicht wirklich notwendig ist. Sichtbar wird dies dann in gestalterischer Lieblosigkeit und billigen Materialen. Eine klare Botschaft an die Mitarbeiter. Die umgekehrten Beispiele gibt es natürlich auch, wo Unternehmen bewusst auf Einbeziehung, Qualität und Kreativität in der Gestaltung setzen. Leider kann das zumindest medial auch nach hinten losgehen – wenn es dann heißt – ihr als Finanzdienstleister in der Krise oder als teilöffentliches Unternehmen schmeißt dafür (unser) Geld raus – Beispiele bekannt. Die Botschaft der Räume wirkt natürlich auch nach außen.
Warum ist der Wohlfühlfaktor so ein kontroverses Thema?
Auch weil abseits der bestehenden Normen, Wohlfühlen schwer zu fassen ist und eine sehr individuelle Komponente hat. Die neuen und offeneren Arbeitsraumkonzepte beschneiden auf der einen Seite diese Individualität – wenig oder keine Beeinflussbarkeit von Luft, Temperatur, Licht, Lärm.
Dazu kommt die soziale Dynamik, denn individuelle Eingriffe in die Raumfaktoren haben in der Regel Auswirkungen auf viele andere KollegInnen.
Die Bedeutung von Kontrolle über unsere Umwelt und die Umweltstressoren wie Luft. Licht, Temperatur, Lärm für die Zufriedenheit habe ich schon im Blogartikel >>Die Psychologie der Räume – Teil 2 beschrieben.
Die Chance
Auf der anderen Seite ermöglichen flexible Arbeitsraumkonzepte, wenn gut gemacht, durch die Vielfalt an Arbeitsmöglichkeiten in unterschiedlichen Atmosphären (mit unterschiedlichen Licht, Temperatur und sensorischer Ausstattung) eine Wahlmöglichkeit, die über die Gestaltungsmöglichkeit klassischer Zellenbüros weit hinausgeht und den Nutzern Wohlfühlen über die individuelle Wahl leicht macht.
Dieser Nutzen braucht eine stärke Betonung ebenso wie das Verständnis von Bauherrn und Architekten, das Wohlfühlen der Nutzer mehr in den Fokus zu stellen und bewusst in Hochwertigkeit, Variabilität und Beeinflussbarkeit zu investieren.
Die Aufrechnung der eventuellen Mehrkosten die diese Aufmerksamkeit verlangt, versus der aus Produktivitätsverlust, Aufmerksamkeitsschwierigkeiten, gesundheitlichen Problemen entstehenden Kosten, sollte für sich sprechen.